Mittwoch, 27. September 2023

Reeperbahn Festival 2023, Hamburg

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Konzert: Reeperbahn Festival
Ort: Hamburg
Datum: 20.09.-23.09.2023
Dauer: 4 Tage
Zuschauer: diverse


Vier Tage Reeperbahn Festival sind vorüber. Das Festival hat zu alter Kraft und Stärke gefunden. Wetter und Line-Up passten perfekt zusammen und auch die Organisation war in diesem Jahr gut aufgestellt. 

Trotzdem kann es selbst den erfahrenen Festivalgänger abschrecken, wenn man bis zum Festivalbeginn nicht einmal schafft, die offizielle Playlist komplett durchzuhören. Aber das ist aber halt auch der Charme eines großen Newcomer- und Showcase Festivals.


Immer mehr zeigt sich aber, dass hier eigentlich verschiedene Festivals parallel stattfinden. Wer Post-Punk und Gitarren liebt, brauchte eigentlich das Molotov mit seinen vier Bühnen gar nicht verlassen. Ab Mittag und bis spät in die Nacht gaben sich hier alle Indie Hoffnungen die Gitarre in die Hand. Besonders der Open-Air Back Yard war in diesem Jahr bei durchweg warmen Temperaturen ein Highlight. 

Hier begeisterten am Mittwoch direkt die aus Nottingham stammenden Cucamaras mit einer energetischen Show, die im nächsten Jahr bei vielen Festivals bestimmt auch für Begeisterung sorgen wird. 

Zuvor erlebte man im kuscheligen Moondoo die herrlich unkomplizierte und humorvolle Katie Gregson-MacLeod. In Schottland schon mehr als ein Geheimtipp. 

Zurück im Molotov, diesmal in der Skybar unter dem Dach, dann endlich auch mal schon bekannte Töne. Deathcrash sind mit ihrem Slowcore schon seit circa zwei Jahren in aller Munde und liefern hier einen staubtrockenen, aber leider nicht so elegischen Auftritt hin, wie bereits gesehen. In den nur 45 Minuten erlaubter Spielzeit konnten sie ihre komplette Bandbreite aber auch nicht beweisen. 

Den einsamer Sieger des Tages gab es dann bei Nacht in der wunderschönen Kirche von St. Pauli zu bewundern. Puma Blue steht völlig zurecht ganz kurz vor seinem großen Durchbruch. Wie er hier virtuos mit seiner Band die Genres von Jazz, Pop, Indie und Soul zelebriert, lässt viele mit offenem Mund zurück. Ein wahnsinnig talentierter Songschreiber noch dazu. Unbedingt anhören. 

Auf der tollen, offenen Bühne am Spielbudenplatz gibt es am nächsten Tag nach dem ersten Kaffee einen koreanischen Showcase mit vier Bands, von denen Cotoba besonders herausragen. Überschwängliche Spielfreude, mal als Indiepop, dann wieder etwas vertrackter und mit mehr Ecken und Kanten. 


Iedereen aus Köln lassen es zunächst im Irish Pub und am Tag darauf nochmal im Fanshop von St. Pauli richtig krachen. Punk in seiner reinsten Form, aber mit der spielerischen Klasse und Härte eines klassischen Duos a la White Stripes. 

Wer die Schweizer von Black Sea Dahu mag, kann danach bei Soft Loft, ebenfalls aus der Schweiz, etwas Luft holen. Genauso wie bei AVEC, wurde gefälliger Indiepop geboten. 

Zurück zum Molotov. Hier startet der australische Nachmittag mit einem extra eingeflogenen Ansager, der fast mehr Raum einnimmt als die auftretenden Bands. Doch sobald die Flying Colours das Mikro übernehmen, ist das schnell vergessen. In nur 30 Minuten fegen sie alle Bedenken beiseite, der Auftritt könnte im Hellen vielleicht deplatziert sein. Kein Spur. Toller Shoegaze, tolle Songs. 

Zum Runterkommen dann ab in Angie's Nightclub. ARTE zeichnet zwei Folgen Plattenkiste mit “Promis” auf. Der Talk gerät launig bis peinlich, die Gäste wenig erfahren im Umgang mit Plattenspielern “ach, es gibt ja zwei Seiten”. Abhaken, weiter geht’s. Und zwar direkt ins andere Extrem. 


Im Rockschuppen Headcrash warten bereits Chalk und knallen ihren Elektropunk durch den Raum. Einzelne Songs sind kaum auszumachen. Der Sänger wirkt charismatisch und ganz schön wütend. Behalten wir mal im Auge. 


Kids Return aus Frankreich bieten den nächsten Kontrast. Interessante Pop Songs a la MGMT (1. Album 😊) mit Harmoniegesang. 


Und damit hier nicht der Verdacht aufkommt, es würde nur die erwartete Indie-Bubbel bedient, steht der Besuch von EBOW ganz oben auf der Liste des Wochenendes. Ebro Düzgün bricht mit den normalen Stereotypen des Hip-Hop und kann gleichzeitig aber auch nicht darauf verzichten. So entsteht ein Spannungsfeld aus queeren und politischen Songs, sowie der üblichen Klischees von Handtaschen und dicken Autos. 
Ebru wirkt aber gerade durch diesen offenen Zwiespalt absolut natürlich und sympathisch. Ein lohnender Abstecher. 

Als Rausschmeißer (mit Ansage) dann noch die neue Punk Sensation aus Dublin. Sprints nehmen das Molotov im Sturm und werden ebenfalls nächstes Jahr viele Festivals glücklich machen. 


Am Samstag spielen dann mein Folk-Lieblinge von William the Conqueror gleich zwei Konzerte. Erst akustisch auf dem für alle freien Festivalgelände am Heiligengeistfeld und später dann noch ein richtiges Set im Indra. Lohnte sich beides. 

Im Molotow Biergarten wird auch heute natürlich wieder gerockt. Die Damen von Hotwax sind am Start. Am vierten Tag fällt ihr Set aber leider etwas ab. Kann aber auch an der Anzahl der bereits gesehenen Post-Punk Bands gelegen haben. 


Ein Live-Podcast will natürlich auch noch besucht werden. “Too many Tabs” sorgen für viele Lacher. Carolin Worbs und Miguel Robitzky (ZDF-Magazine Royal) harmonieren sehr gut und berichten von ihren "Rabbit Holes" im Internet. Lyschko performen dazu live ein paar Songs und natürlich die Titelmelodie.

AUGN spielen das für mich spannendste Set des gesamten Festivals, (siehe eigener Bericht) bevor Team Scheisse dann, mittlerweile schon sehr routiniert, im Hochbunker zwischen Fußballrandalen und Reeperbahn-Touristen den Deckel draufmachen. 


Die Anzahl an Bands kann über vier Tage hinweg ermüdend wirken. Es lohnt sich daher immer, auch bewusst Konzerte zu besuchen, deren Musikrichtung einem vielleicht fremd vorkommt. Alles in allem war es ein rundes und entspanntes Festival. 

Als zusätzliches Lob sollte gelten, das die sonst so begehrten Konzerte in der Elbphilharmonie dieses Jahr so gar nicht im Mittelpunkt standen. 

Tickets für 2024 sind als Early-Bird Version bereits erhältlich. 


Dienstag, 26. September 2023

AUGN, Reeperbahn Festival, Hamburg

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Konzert: AUGN
Ort: Kaiserkeller/Reeperbahn Festival
Datum: 23.09.2023
Dauer: 45
Zuschauer: ca.300


Der Barkeeper im Kaiserkeller an der Reeperbahn hat schlechte Laune. Er hält das EC-Gerät an die Decke. Kein Empfang. Besser wird die Stimmung danach nicht mehr. Weder auf, noch vor der Bühne. 

Vom Band läuft in Dauerschleife eine Publikumsbeschimpfung. Die Bühne ist durch Nebel und Gegenlicht nicht auszumachen. 20 Minuten geht das so und man beginnt zu glauben, diese Kunstaktion könnte schon reichen, um das Projekt AUGN beim Reeperbahn Festival überzeugend zu präsentieren.

Plötzlich setzt dann doch noch ein brachialer Beat ein. Wem "The KLF" noch ein Begriff ist, bekommt eine Ahnung. Schafe kamen allerdings hier nicht zu schaden. Ansonsten gibt es aber weiterhin nichts zu sehen. Einer der Beiden scheint die Texte von seinem Handy abzulesen, vielleicht kommt aber auch wirklich alles in den nächsten 25 Minuten vom Band. 

Mensch zwei tanzt wie ein Rumpelstilzchen mit tiefhängendem Bass um Mensch eins herum. Beide tragen natürlich Gesichtsmasken. Alles egal. AUGN kommen, um sich zu beschweren. Über Deutsche, die Musikindustrie und rechte Wutbürger. Das kommt spät, 30 Jahre nach Tocotronic. 

Aber jetzt sind sie da, f... off Haltung gegen alles inklusive. Es ist ein Highlight, nach gefühlt dutzenden von Post-Punk und HipHop Acts, die die A&R Manager zur Zeit signen wie Sand am Meer. Für diese haben AUGN auch gleich einen neuen Song dabei: „Du bist A&R bei irgendeinem Label und die aller größte Ratte im Geschäft.“

Bei AUGN hat sich etwas angestaut, eine Vorgeschichte mit diversen Labels liegt nahe. Zwischen den Songs dröhnt der Applaus auch gleich mit vom Band. Auf ihrer Insta-Seite posten sie am nächsten Tag: „Reeperbahn Festival, so scheisse wie befürchtet. Nie wieder“. 

Sollte die Rettung der Zeitschrift Titanic nicht gelingen. AUGN könnten sofort übernehmen. Am Ende gibt es ein Mantra über einen Gottesdienst, die Glocken läuten und dröhnen, Neonlicht blendet den Raum, fehlt nur noch Weihrauch. Katharsis beendet.

Ach so, es war großartig.

Mittwoch, 13. September 2023

Misty Fields Festival, De Groote Peel, 08.09.-10.09.2023

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Konzert: Misty Fields Festival
Ort: De Groote Peel
Datum: 08.09.-10.09.2023
Dauer: 3 Tage
Zuschauer: ausverkauft


Machen wir es kurz: Diese Ausgabe des Misty Field Festivals war einfach fantastisch. Obwohl wir dieses Jahr nur am Samstag vor Ort waren, zeigten sich wieder alle Schönheiten der Ausgabe. 

Ja, dass Misty Fields ist gewachsen. Und nein, es hat ihm bisher nicht geschadet. Wir reden immer noch einem kleinen Festival. Ein Festival, dass sich keinen Millimeter beim Line-Up hat verbiegen lassen. Das immer noch wie von Meisterhand kuratiert wird und keine großen Namen auf dem Poster benötigt. Mittlerweile gibt es zwei Zeltbühnen, eine Waldbühne, div. Party/Silent Disco/DJ- und Zirkus Acts, begleitet von außergewöhnlich gutem Essen und Craft-Bier. 


Trotzdem kommt man wegen der tollen Newcomer, wie zum Beispiel die am frühen Nachmittag spielenden Flying Colours (Reeperbahn Festival ahead), bevor der beste Schweizer Export von Black Sea Dahu im Zelt übernehmen. Die Band ist in Deutschland zwar schon lange kein Newcomer mehr, aber live immer noch herausragend. Wesentlich dynamischer als noch vor einigen Jahren, wechselt der Sound zwischen verträumten Hippie-Anleihen und breitem „Arcade Fire“ Indierock. Die beiden Schwestern am Gesang und Bass sind in Feierlaune, der lange Festivalsommer endet für die Band genau hier und jetzt. 


Eine (ok, gelogen...zwei) schnelle Frikandel später steigt die Vorfreude, auf die mit Vorschusslorbeeren überschütteten Lambrini Girls. Queerer Punk ist ja gerade voll im Trend und Phoebe, Lily und Catt starten furios. Eigentlich spielen, zumindest Gitarre und Bass, fast ausschließlich IM Publikum.



Wer Panic Shack oder Hotwax in diesem Jahr schon gesehen hat, bekommt eine Ahnung. Alles wirkt spontan und ausgelassen. Bei den Ansagen merkt man  aber schnell: Es geht um mehr. Das ist die Musik, die jetzt aus England kommen sollte. modern, wütend und wild. 


Danach mussten bei großer Hitze erstmal wieder die Textilien getrocknet werden. Schwierig, wenn der DJ am Eingang das Zelt mit Vinyl schon vor Sonnenuntergang zum Beben bringt. Aufgelegt wird natürlich stilecht aus einem alten, umgebauten Feuerwehrauto. Einfach schön. Preoccupations are next..., eine Band die ich sehr mag, aber komischerweise noch nie live gesehen habe. 


Ich mochte den trockenen und musikalisch etwas monotonen Sound sehr, ein Stimmungshighlight für alle wurde aus dem Auftritt aber nicht. Ganz im Gegenteil zur vielleicht „hottesten“ Band aus New York in diesem Jahr. Bodega spielen in der Tradition von LCD Soundsystem eine fantastische Show. In so kleinem Rahmen wird man die Band wohl nie wieder erleben können.


Der Termin für nächstes Jahr ist geblockt. Dann auch wieder für das ganze Wochenende. Das Misty Fields hat sich einen festen Platz im Festivalkalender spielerisch erarbeitet. Das ist gerade im Vergleich zu Deutschland bemerkenswert. Hier hatten fast alle kleineren Festivals ein hartes Jahr, was ihre Besucherzahlen angeht. 

Tickets für 2024 gibt es bereits ab Samstag, den 16.09.2023 bei: Misty Fields 2024 - Early Bird 


Fotos: Michael Graef






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Dienstag, 5. September 2023

Vorbericht / Reeperbahn Festival Hamburg 20.09-23.09.2023

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Konzert: Reeperbahn Festival 2023 - Vorbericht
Ort: div. Orte / Hamburg
Datum: 20.09.-23.09.2023
Dauer: 4 Tage




Das Reeperbahn Festival vom 20.-23-09.2023 präsentiert auch diesmal wieder unzählige Konzerte und ein großes Rahmen Programm. Wie immer sind Tages-, Wochenend- und Tickets für das komplette Festival auf der Webseite erhältlich.

Auf alle unsere Lieblinge hinzuweisen ist gar nicht möglich. Ein paar Tipps wollen wir euch aber natürlich mit auf den Weg nach Hamburg geben. Fast alle haben wir bereits live gesehen. 


Für die besonders begehrten Konzerte in der Elb-Philharmonie sticht der späte Slot von Altin Gün am Samstag heraus. Ein echter
 Newcomer ist die bunte Band aus Amsterdam zwar nicht mehr, wird aber mit ihrer wuchtigen Live Power die Philharmonie definitiv zum Tanzen bringen. 

Vorab wandelt an selber Stelle Matt Corby auf den souligen Pfaden von Paolo Nutini. Im normalen Programm beginnt der Mittwoch mit vielen weiblichen Acts, alle sehr zu empfehlen. Arlo Parks als Headliner bedarf keiner Vorstellung mehr. Auch Brockhoff und Florence Welch aus Düsseldorf dürften durch diverse Auftritte bereits einen guten Eindruck bei vielen hinterlassen haben. 

Aus dem Indie-Bereich sind Deadletter und Tramhaus, Sparkling (Albumproduzent: Goddard/Doyle-LCDSoundsystem) und English Teacher eine sichere Bank. 


Am Donnerstag bespielen dann so unterschiedliche Künstler/innen wie Paula Paula, die folkigen Taylor-Geschwister von The Staves, die "No Waver" von Asbest, der allseits bekannte Bernhoft und die neuen Teenie-Idole von The last Dinner Party die Bühnen der Reeperbahn. 

Der Freitag endet hoffentlich spät mit den punkigen Sprints aus Irland und dem gepflegten College Rock von Girl Scout. Davor präsentiert Christian Löffler sein neues Elektronik-Projekt in der ehrwürdigen Großen Freiheit 36, gleich nachdem der frische Oscar Gewinner (Volker Bertelmann) Hauschka im Resonanzraum (wo immer das sein mag) Songs aus seinem neuen, im Oktober erscheinenden Album vorgestellt hat. Was für ein Doppel. 


Am Samstag dann der vlt. beste Newcomer aus Deutschland. Augn geben in bester Sleaford Mod Besetzung auf die Augen und Ohren. Holly Humberstone wird zum Träumen anregen, Arab Strap sind immer eine Reise wert und Teleman waren schon immer Lieblinge des Konzerttagebuchs. 


Bleiben noch zwei besonders Tipps: Bipolar Feminin aus Österreich haben im Spiegelzelt in Haldern dieses Jahr bereits voll überzeugt. Und Joe Unknown spielte dieses Jahr noch völlig unbekannt beim Lowlands Festival eine Show, die auch sofort auf der Hauptbühne funktioniert hätte.

Lasst uns zusammen feiern und gute Musik genießen. Wo könnte dies besser funktionieren als in Hamburg. Wir werden berichten. 

Fotos: Reeperbahn Festival


Dienstag, 8. August 2023

Haldern Pop Festival 2023

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Konzert: Haldern Pop Festival 2023
Ort: Haldern/Niederrhein
Datum: 03.-05.08.2023
Dauer: 3 Tage
Zuschauer: ca. 5.500



Schon Tage vor dem diesjährigen Haldern Pop Festival war klar: Es wird wieder eine besondere Ausgabe. Stündliche Updates auf allen Kanälen erklärten das Wacken Festival zum Notstandsgebiet und auch der Niederrhein sollte nicht verschont bleiben. Die letztjährige Hitzeschlacht noch vor Augen, war der Gedanke an nächtliche Kältegrade und andauernde Regenfälle unvorstellbar, sollte sich aber bewahrheiten. Das Orga-Team des Festivals blieb aber immer ruhig und vertraute auf die Gelassenheit der Stammgäste und die eigene Erfahrung. 

Um es vorwegzunehmen: Es gab keinerlei Einschränkungen im Programm und bis auf einige, vom Schlamm verschluckte Schuhe, auch keine größeren Probleme für die Besucher. Richten wir daher das Augenmerk lieber auf die Schönheiten der Ausgabe. Wieder einmal präsentierte sich das Haldern Pop als Füllhorn für Newcomer und ausgewählte Headliner, die eigentlich durch die Bank nur eines gemeinsam hatten: Musikalische Qualität. Dort, wo andere Festivals ihren Besuchern mit diversen sichtbaren oder unsichtbaren Aktionen, wie Sparmaßnahmen (weniger Bands) und neuen Einnahmequellen (Glamping, Parkgebühren) zu Leibe rücken, nimmt das gallische Dorf am Niederrhein immer noch eine Ausnahmestellung ein. 

Trotzdem sollten den Zeichen der Zeit, wie einer zunehmenden Überalterung des Publikums, konsequent entgegengewirkt werden. In Zeiten, in denen für viele das Line-Up alleiniges Kaufkriterium darstellt, muss der Mehrwert des Markenkerns Haldern Pop in die Köpfe der jüngeren Generationen. Und der liegt auf Diversität und ein Hand kuratiertes Line-Up. Ein riesiges Poster mit allen Künstler*innen der letzten 40 Jahre am Eingang veranschaulichte dies auf beindruckende Weise. 


Der Beginn im Spiegelzelt am Donnerstag macht dann auch keine Ausnahme. „Special Interest“ starten mit einer lauten, zeitgeistigen und wuchtigen Show die die Anwesenden schonmal auf Betriebstemperatur bringt und thematisieren den Altersdurchschnitt direkt mit einem sarkastischen „you are collecting vinyl, aren`t you ?“. Da bleibt kaum Luft und Zeit sich erstmal mit Gelände und alten Bekannten vertraut zu machen, denn als Nächstes folgt direkt einer der wenigen, lästigen Überschneidungen. 


Brockhoff präsentiert modernen, eingängigen Pop im kleinen, bereits übervollen Niederrheinzelt, während die New Yorker Nation of Language dem Sound von New Order neuen Glanz verleihen. Beides mit Potenzial für größere Bühnen. Dachte man, mit dem Bassisten von Nation of Language den kuriosesten Männerhaarschnitt bereits früh ausgemacht zu haben, wurde es noch einmal eng. Mit den fantastischen Wunderhorse gab es im Anschluss direkt neue Highlights im Bereich Mullit zu bestaunen. 


Die Band wirkt noch etwas unreif auf der Bühne. Sie beginnen, vielleicht auch aus fehlenden Selbstvertrauen, mit den eigentlich stärksten Songs, können aber trotzdem voll überzeugen. „Leader oft he Pack“ hat das Zeug zum echten Hit. Wer Razorlight oder die Fontaines D.C. mag, ist hier genau richtig. Auf der Hauptbühne gibt es derweil koreanischen Hip-Hop. Balming Tiger nutzen die Breite der Bühne endlich einmal komplett aus und der Regen legt endlich die ersten Pausen ein. 

Das kommt für die Meisten wie gerufen und so entwickelt sich der kleine Doppel-Headliner von Tom Odell und den nachfolgenden Leoniden zur fast nicht mehr geglaubten Party an diesem „Wet Thursday“. Gut, wem trotzdem noch nicht nach Schlafen zu Mute ist. Einer der verlässlichsten Highlights sind bekanntermaßen jedes Jahr die letzten Bands im Spiegelzelt, zu ganz später Stunde. 

Und auch dieses Mal wird wirklich keiner enttäuscht. Hamish Hawk präsentiert uns eine waschechte Crooner Show mit mehr als subtilen Anleihen an große Vorbilder wie Suede und Morrissey. Damit bereitet der den Boden für den Abriss mit Ansage: Panic Shack aus Cardiff zerlegen das Zelt zwar etwas zärtlicher als noch die Idles oder Back Midi in den vergangenen Jahren. Trotzdem bekommt man bei dem herrlich melodiösen Punk Pop und den unvergleichlichen Texten „he put the milk in first“ das Grinsen einfach nicht aus dem Gesicht. Am Freitag bestätigt sich dann endlich die alte Seher Weisheit aus Asterix: „Auf Regen wird Sonnenschein folgen“. 


Der Dorfplatz füllt sich schnell. Eine Bühne gibt es zwar dort dieses Jahr nicht, aber der kleine Biergarten ist perfekt, um endlich die Kontakte zu pflegen, die das straffe Programm am Donnerstag nicht zuließ. Rolf Blumig, schon beim Maifeld Derby eine Überraschung, weiß kurze Zeit später im Jugendheim zu begeistern. Teilweise nah am Pop, dann aber wieder absurd komisch und filigran, spielt er mit seinem Publikum. 

Es folgt eine volle Ladung Gitarrenbands wie schon lange nicht mehr. Courting und Gurriers spielen wilde Sets voller Energie, unterbrochen von Pavements letztjährigem Support Katy J. Pearson, die das Ganze etwas ruhiger, aber musikalisch ausgereifter angeht.


Und trotzdem gibt es zwei große, andere Gewinner des Abends im Bereich Indierock: Porridge Radio erhalten einen prominenten Slot auf der Hauptbühne. Wie verdient dies ist, belegt die Band eindrucksvoll mit einem magischen Set voller Spielfreude. Sängerin Darga Margolin schreit, lacht und springt fast über den Wellenbrecher. Es ist DIE Band der Zeit, genau am interessantesten Punkt ihrer Karriere. 


Diese füllt bei der nächsten Band schon fast Bücher. Die Nerven spielen 75 Minuten im Spiegelzelt. Längere Auftrittszeiten können ja bei Festivals schnell ermüden. Hier ist der Mix aus neuen Songs und einem großen Backkatalog ein Segen. Die Nerven sind locker. Der Ernst und die Wut sind zwar noch spürbar, aber es macht jetzt einfach mehr Spaß als früher, ihnen bei diesem Vortrag zu folgen. 

Besonders schön, dass das Haldern Pop an allen Abenden einen tanzbaren Abschuss auf der Hauptbühne präsentiert. Nach den Leoniden am Donnerstag und den wilden Comet is Coming am Samstag ist es an diesem Abend an den Belgiern von Glauque, uns mit treibenden Beats und sprachgewaltigem Rap ins Zelt zu entlassen. 

Wenn einen da nicht noch Low Cut Connie im Spiegelzelt zur Umkehr bewegt hätten. Ein Orkan eines Auftrittes. Little Richard revisited. Auch wenn die Songs am nächsten Morgen vergessen sind, wird hier mit unzähligen Musikern das große All American Songbook zelebriert. Was für eine Nacht. 



Das Tipi des Grauens (ein „geheimes“ Partyzelt, bisher immer nur im Backstage-Bereich platziert), fordert erste Opfer. Der Gang ins Dorf und zum täglichen Pflaumenkuchen muss am nächsten Morgen entfallen, und so startet der Tag mit dem erwarteten Knall im Spiegelzelt. Die zurecht mit Vorschusslorbeeren bedachten Bipolar Feminin pusten einem wieder Leben in den Körper. Mit dem Gestus von Zeltingers Tochter werden aufwühlender Punk und eindringliche Texte dargeboten, denen man sich nicht entziehen möchte. 

The Mysterines wollen es danach etwas zu gut machen, aber gerade deshalb springt der Funke des Arctic Monkeys Support heute nicht über. Schade. Kein Problem, denn es folgt vielleicht Belgiens bester Pop Act zurzeit. 


Sylvie Kreusch wandelt fast etwas zu sehr auf Lykke Li`s Spuren, hat aber genug gute Songs dabei, damit dies nicht zu sehr in Gewicht fällt. Lasziv tanzend spielen Sie und ihre große Band mit dem Publikum und gehört definitiv nächstes Jahr auf die Hauptbühne, oder eigentlich auf jede Hauptbühne. Einer der imposantesten Auftritte des gesamten Wochenendes, auch oder weil es einfach Pop war. 

Immer wieder setzt Regen ein und lässt daher wieder kein entspanntes Quatschen und Schlendern auf dem Gelände zu. Daher fallen für mich auch Emilie Zoe und Lanterns on the Lake mehr oder weniger aus. Der ein oder andere denkt an die Abreise, oder wie diese überhaupt stattfinden kann. Besonders bei den ruhigen Klängen, mit einem mutigen Spot auf der Hauptbühne angesetzten Konzert von Hania Rani, bleibt Zeit zum Träumen. 

Wieviel besser hätte dieser Gig auf der Wiese bei einem großartigen Sonnenuntergang funktioniert? Zum Abend hin wird es dann aber tatsächlich wieder trockener und einen Iren als Headliner stört so etwas eh nicht. 


Glen Hansard gab sich schon am Mittag volksnah wie immer und schlenderte kurz mit gelbem Regenmantel über das Gelände. So nah kommt man einem Oskar Gewinner nur selten. Auf der Bühne zeigt er sich dann wie immer eklektisch aber überraschend elektrisch. Die E-Gitarre sah man bei ihm ja bisher eher selten, heute spielt fast im Geiste von Neil Young auf, begleitet von einer großartigen Band steht die fast perfekte Show der ersten Hälfte in krassem Kontrast zur Zweiten. 

Hier dominiert wieder die irische Improvisationskunst. Diverse Gäste entern die Bühne, ein Sinead O`Connor Snippet hier, ein Solostück von Susan O`Neill dort. Es ist die helle Freude. Nach 75 Minuten ist Glen Hansard gerade warmgespielt, da ist leider schon wieder Schluss. Ein toller Abschluss und auch ein würdiges Ende dieser 40. Ausgabe. Was bleibt am Ende als Fazit? 


Jeder sollte nach diesem Wochenende für diese einmalige Wundertüte eines Festivals und deren spezieller Spielorte werben. Mit dem Kleben von Postern und guter Hoffnung ist es in dieser übervollen Veranstaltungswelt nicht mehr getan, um das übliche „ausverkauft“ zu vermelden. Haldern lebt von den persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen. Lasst mehr Leute aus eurem Umfeld daran teilhaben und dann gemeinsam neue Erlebnisse kreieren. „Spread the word".

alle Fotos: Denis Schinner


 

Konzerttagebuch © 2010

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